Markus Baersch

Analytics · Beratung · Lösungen

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15.02.2023

"Sie haben zehn Sekunden, um eine achtstellige Primzahl einzugeben. Anderenfalls verwandeln wir Sie in einen Lurch. Zehn. Neun..."

Das klingt ziemlich dramatisch, oder? Viel besser wäre: "Wenn Sie in einen Lurch verwandelt werden wollen, geben Sie jetzt eine achtstellige Primzahl ein".

Was das Ganze soll? Es zeigt, wie groß der Unterschied zwischen Opt-out und Opt-in sein kann. Nicht ganz so dramatisch, aber ähnlich unsinnig ist das Ultimatum, dass Google nun bzgl. der weltweit eingeleiteten "Zwangsheirat" jeder Universal Analytics Property mit einem nahen GA4 Verwandten.

Freie Entscheidung ohne Zeitdruck? Och, nö.

Auch für diesen Vorgang hat sich Google für einen Opt-out-Ansatz entschieden. Was bedeutet, dass in jeder Universal Analytics Property zum Wegfall der alten Version eine brandneue GA4 Property "zwangserstellt" und mit den Daten des Tags versorgt wird, das bisher Universal Analytics bedient hat.

Klingt ja erstmal nach einer guten Idee. Hat man sich jedenfalls bei Google so gedacht, wie es scheint. Und daher ist diese Funktion per Default aktiviert. Darunter vermutlich ein Löwenanteil, der sich auf der folgenden Liste wiederfindet - in mindestens einem Punkt.

  • seit Jahren nicht mehr genutzt oder geöffnet
  • längst nicht mehr aktiv mit Daten versorgt (OK, dieser Fall ist einigermaßen harmlos)
  • sammelt unnötigen Schrott in Form von Scroll-Tracking
  • steckt voller Daten, die gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen

Warum also diese Entscheidung? Ich kann mir nur denken, dass ein guter Teil dieser Properties als Datenlieferant für (schlechte) Zielgruppenbildung und Conversion-Messung in Google Ads Konten dient. Aber dann sollte es reichen, diesen Punkt nur in mit Ads Konten verbundenen Properties zu aktivieren. Stattdessen sind es alle. Wirklich alle!

Und da das noch nicht ausreicht, wird auf der anderen Seite bei allen bereits bestehenden und ggf. sorgfältig eingerichteten GA4 Properties darum gebettelt, diese mit einer UA Property zu verbinden, nur damit diese dann Ruhe gibt, wenn das baldig geplante Ableben stattfindet.

Auf diese Weise entstehen neue GA4-Properties, die mit dem gleichen "Müll" (oder gar nicht) befüllt werden, wie ihre Vorgänger. Und es werden in Summe unzählige Stunden sinnloser Klickerei in Universal Analytics-Einstellungen verbraten - freilich auf Seiten der Nutzer (oder deren Agenturen).

Zum Glück ist dieser Vorgang via API automatisierbar und es gibt erfreulicherweise auch ein Template von Matteo Zambon, mit dem man einen Klick braucht, um den Schalter bei allen Properties eines Kontos umzustellen. Dennoch bindet eine Erledigung bei größeren Konten mit vielen Properties einfach nur Ressourcen, denn man muss erstmal davon wissen, dass jemand seine Zeit mit der o. a. Lösung verschwendet hat, um die eigene Zeit zu schonen. Will man nach dem Wegfall von Universal Analytics nicht einen Haufen unnötiger GA4 Properties löschen, werden sich viele daher manuell in die Einstellungen aller Properties zu begeben, um immer wieder zu klicken, zu scrollen und zu klicken. Traurig!

Panikmodus: ON!

Ganz ehrlich - dieser letzte Puzzlestein passt ganz gut ins Bild. Alles rund um GA4 scheint sich derzeit um Probleme, Verzögerungen und Löcher im Vergleich zum Vorgänger zu drehen. Bei allen Vorteilen, die GA4 zweifelsfrei bringt und dem enormen Potenzial, das im neuen Datenmodell, den Schnittstellen und der Integration von Machine Learning steckt, überwiegen derzeit doch leider eher die Nachteile und Hindernisse auf dem Weg zu einer reibungslosen Migration.

Das scheint auch Google zu merken... nicht erst seit "gerade eben". Monate dem Verkünden des Sunset-Datum für Universal wird sich beschwert, dass die NuzerInnen zu zögerlich beim Umstieg sind (während nach wie vor wesentliche Dinge fehlten und immer noch fehlen). Es folgt die Ankündigung für den Wegfall von Optimize. Mails werden versendet - immer und immer wieder. Trotzdem ist die Begeisterung in der Nutzerschaft überschaubar und bleibt offenbar hinter den (unrealistischen?) Erwartungen zurück. Dazu gesellt sich der heftige Gegenwind aus dem Datenschutz-Lager. Maßnahmen wie der Ausbau von EU Servern, Verwerfen der IP vor dem Speichern außerhalb der EU, Datenreduktionsfunktionen und alles andere hilft dabei im Zweifelsfall wenig, wenn eine strikte Policy besteht oder jemand mal genauer hinschaut. Und das sind nur die Probleme mit / bei Analytics. Von wegbrechenden Ads Umsätzen, dem Wegfall einfacher Identifikation via Cookies, dem eher mäßigen Ersatz über gehashte persönliche Daten und allen anderen Bedrohungen nicht zu reden (Nein, ich habe nicht ChatGPT gesagt!), denen Google aktuell und künftig gegenübersteht.

Weitere, selbst generierte Stolpersteine wie die eingeschränkte Nutzung der API via Looker Studio, verstärken den Eindruck, dass es keinerlei roten Faden mehr gibt und man längst den Überblick (und die Hoffnung?) verloren hat. Dabei muss man bedenken, dass nicht alle Universal Analytics wirklich nutzen (siehe oben). Nicht jeder wird auf GA4 umsteigen wollen, können oder dürfen und hat sich längst anderen Anbietern und Lösungen zugewandt. Andere warten immer noch auf wesentliche Features, um dann hoffentlich noch rechtzeitig umsteigen zu können.

GA4: Alles wird gut

Was wie eine Durchhalte-Parole klingt, soll tatsächlich Mut machen. Mittelfristig werden sich die Wogen an der Datenschutzküste irgendwann glätten... oder zumindest eine vergleichbare Wetterlage für alle Anbieter das Spielfeld ausgeglichener gestalten.

Fehlende Features werden irgendwann ebenso kommen. Vielleicht zu spät für eine rechtzeitige Migration; möglicherweise zögert sich auch der Wegfall von Universal noch ein wenig raus. Am Ende wird GA4 mindestens zu einem "ausreichend nutzbaren" Nachfolger werden. Die Frage ist nur, wer dann noch übrig ist, um das zu bemerken und zu würdigen. Das soll nicht bedeuten, dass sich die Marktstellung von Google Analytics über Nacht dramatisch ändern wird. Aber wenn UA erstmal weg ist, werden sich die Zahlen vermutlich schon spürbar bereinigen, denn schon jetzt ist eine Migration hin zu anderen Tools zu spüren und sterbene UA Installationen werden ggf. gar nicht erst ersetzt.

GA4: Ja oder Nein?

Diese Frage hat man mir in den letzten Monaten natürlich schon mehrfach gestellt. Und die Antwort war und ist auch stets it depends. Weil wir hier ja schießlich im Online Marketing unterwegs sind und daher immer diese Antwort gilt. Allerdings haben sich die Faktoren, von denen es eben abhängt, mitsamt der zugehörigen Prioritäten, im Lauf der Zeit (nicht nur bei mir) verändert.

Wer heute noch einen Umstieg von UA auf GA4 plant, muss sich mit einer ziemlich großen Liste von "Wenns" auseinandersetzen. Das muss sich lohnen - ebenso wie das größere Risiko von Datenschutzproblemen aller Art (gerechtfertigt oder nicht) im Vergleich zu so ziemlich jeder anderen Lösung.

Wenn man dazu berücksichtigt, dass GA4 nicht nur im Inneren, sondern auch in der Darstellung von Informationen, Bedienung des Tools und Verfügbarkeit von Daten ("gestern" gibt es meistens erst "heute" irgendwann am Nachmittags) grundlegend verändert haben im Vergleich zum Vorgänger, ist der Umstieg auf ein anderes Tool sicher nicht komplexer, als ein Wechsel zu GA4.

Quo vadis, Google?

Umstellen muss man sich bei der Benutzung ohnehin. Daher habe ich schon vor einiger Zeit meine Antwort auf die GA4-Frage umgedreht und frage zurück: Welcher gute Grund spricht derzeit dagegen, etwas anderes zu nehmen? Man muss den ganzen Aufwand, die Widerstände, Lücken, Probleme und potenziellen Risiken hinsichtlich Datenschutz m. E. genau gegen die Rahmenbedingungen für Alternativen abwägen, bevor man den "natürlichen Nachfolger" von Universal einsetzt. So weit sind wir inzwischen gekommen.

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